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Deliktische Haftung - die neue Gesetzgebung in Belgien ab 1.1.2025

Artikel über die neue Gesetzgebung in Belgien ab 1.1.2025 zur deliktischen Haftung

Rechtsanwalt David Diris / Rechtsreferendarin Fiona Fuchs

 

Das belgische Zivilgesetzbuch wird seit November 2020 schrittweise reformiert. Das neue Burgerlijk Wetboek soll letztendlich aus zehn Büchern bestehen. Neben dem Gesetz zur Einführung von Buch 1 Allgemeine Bestimmungen traten unter anderem auch die Gesetze zur Einführung von Buch 3 Güter sowie Buch 5 Schuldverhältnisse bereits in Kraft.[1]

Der Gesetzesentwurf der Kommission zur Reform des Haftungsrechts zur Einführung von Buch 6 Außervertragliche Haftung wurde am 1. Februar 2024 vom Parlament angenommen und soll am 1. Januar 2025 in Kraft treten.[2]

Im Folgenden soll die neue Gesetzgebung zur außervertraglichen (deliktischen) Haftung genauer betrachtet und im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage erörtert werden.

 

I. Die Abschaffung des Konkurrenzverbots und der Quasi-Immunität des Erfüllungsgehilfen

Im Vordergrund der Reform steht die Abschaffung zweier maßgeblicher Grundsätze der belgischen Deliktshaftung, nämlich des Konkurrenzverbots („samenloopverbod“) sowie der Quasi-Immunität des Erfüllungsgehilfen („quasi-immuniteit van de uitvoeringsagent/hulppersoon“)[3].

 

1.1. Das Konkurrenzverbot („Het samenloopverbod“)

Das sog. Konkurrenzverbot sollte bisher die Umgehung vertraglich vereinbarter Haftungsbeschränkungen verhindern. Für Forderungen aufgrund von Vertragsverletzungen kamen bis dato lediglich vertragliche Anspruchsgrundlagen in Betracht. Die Geltendmachung von außervertraglichen Ansprüchen zwischen zwei Vertragsparteien war nach ständiger Rechtsprechung unzulässig.[4]

Dies wird sich nun grundlegend ändern: Im Falle einer Vertragsverletzung überlässt das neue Gesetz dem Geschädigten die Wahl zwischen einer Klage aus vertraglichen Ansprüchen und einer Klage, welche auf außervertraglichen Ansprüchen beruht. Auch im letzteren Fall hat der Beklagte jedoch die Möglichkeit, sich auf vertragliche Einreden zu berufen.[5]

Den Parteien steht es gleichwohl weiterhin frei, Haftungsbeschränkungen vertraglich zu vereinbaren.[6]

 

1.2. Die Quasi-Immunität des Erfüllungsgehilfen („De quasi-immuniteit van de uitvoeringsagent/hulppersoon“)

Diese Neuregelung ist sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer relevant, da beide Gruppen im belgischen Recht als Erfüllungsgehilfen qualifiziert werden können. Neben den Angestellten gelten auch die Geschäftsführer einer Gesellschaft als Erfüllungsgehilfen, da sie als deren „Hilfsperson“ für die Erfüllung der von der Gesellschaft abgeschlossenen Verträge handeln.[7]

Unter der bisherigen Gesetzeslage waren Erfüllungsgehilfen in weitreichendem Maße vor vertraglichen sowie außervertraglichen Haftungsansprüchen eines geschädigten Vertragspartners ihres Auftraggebers geschützt (sog. Quasi-Immunität). Lediglich unter sehr außergewöhnlichen Umständen – insbesondere bei Straftaten – war die direkte Geltendmachung von deliktischen Ansprüchen gegenüber dem Erfüllungsgehilfen möglich.[8]

Auch hier lässt das neue Gesetz dem Geschädigten die Wahl: Er kann seinen Schaden nun entweder (außervertraglich) direkt beim Erfüllungsgehilfen geltend machen oder seinen Vertragspartner (den Auftraggeber des Erfüllungsgehilfen) in Anspruch nehmen.[9]

Entscheidet sich der Geschädigte für die Inanspruchnahme des Erfüllungsgehilfen, stehen diesem diverse Einreden zu.[10]

Der Erfüllungsgehilfe kann zunächst sämtliche Einreden geltend machen, die auch seinem Auftraggeber zustünden. Die vertraglichen Regelungen zwischen dem Auftraggeber des Erfüllungsgehilfen und dem Geschädigten greifen demnach auch, wenn sich Letzterer für die Inanspruchnahme des Erfüllungsgehilfen entscheidet. Damit soll verhindert werden, dass der Geschädigte vertragliche Vereinbarungen (wie beispielsweise Haftungsbeschränkungsklauseln) gezielt umgehen kann. Die vertraglichen Einreden kann der Erfüllungsgehilfe jedoch nicht erheben, wenn er den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat oder der Schaden in einer „Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Integrität“ besteht.[11]

Weiterhin stehen dem Erfüllungsgehilfen Einreden aus dem Innenverhältnis zu seinem Auftraggeber sowie Einreden aus anderen Gesetzen zu. Unter anderem können sich Angestellte auf die Haftungsbeschränkung gemäß Artikel 18 des Gesetzes über die Arbeitsverträge vom 3. Juli 1978 (Wet van 3 juli 1978 betreffende de arbeidsovereenkomsten) berufen, wonach Arbeitnehmer nur für ihre gewohnheitsmäßigen leichten Fehler sowie schwerwiegenden Fehler und arglistige Täuschung haften – egal ob vertraglich oder außervertraglich. Für Arbeitgeber hingegen gelten die Haftungsregelungen des Belgischen Gesetzbuchs für Gesellschaften und Vereine (Belgische Wetboek van Vennootschappen en Verenigingen).[12]

Zusammenfassend haften Arbeitnehmer also weiterhin nur für ihre gewohnheitsmäßigen leichten Fehler sowie schwerwiegenden Fehler und arglistige Täuschung (vgl. Artikel 18 des Gesetzes über die Arbeitsverträge vom 3. Juli 1978), können nach dem neuen Gesetzesentwurf nun aber nicht mehr nur von ihrem Auftraggeber, sondern auch vom geschädigten Dritten in Anspruch genommen werden.[13]

Geschäftsführer sind durch die gesetzliche Neuregelung ebenfalls einem erhöhten Haftungsrisiko ausgesetzt: Sie haften nun nicht mehr nur im Innenverhältnis zu ihrer Gesellschaft, sondern auch gegenüber Vertragspartnern der Gesellschaft.[14]

Neben den oben genannten vertraglichen Einreden kommen den Arbeitgebern auch die gesetzlichen Haftungsbeschränkungen des Belgischen Gesetzbuches für Unternehmen und Vereinigungen (Belgische Wetboek van Vennootschappen en Verenigingen) zugute. Dieses Gesetz regelt die Beziehung zwischen Unternehmen und ihren Geschäftsführern und hat als lex specialis Vorrang vor Buch 6 des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches. Demnach können Geschäftsführer gegenüber Dritten nur insoweit für Fehler bei der Erfüllung ihrer Pflichten haftbar gemacht werden, als die Fehler nicht vertraglicher Natur sind. Als Maßstab für die Haftungsgrenze gilt, was von einem umsichtigen und sorgfältigen Geschäftsführer unter den gleichen Umständen erwartet werden kann. Außerdem bestimmt das Gesetz eine Obergrenze für die Arbeitgeberhaftung.[15]

Eine über diese gesetzlichen Grenzen hinausgehende (vertragliche) Haftungsbeschränkung ist jedoch nicht zulässig.[16]

 

II. Haftungsverschärfungen im Minderjährigenrecht

Buch 6 des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches enthält außerdem Neuregelungen zur Haftung im Minderjährigenrecht. So haften Kinder unter 12 Jahren beispielsweise nicht für schuldhaft verursachte Schäden. Personen, die das Sorgerecht für Kinder unter 16 Jahren tragen, trifft nun eine verschuldensunabhängige Haftung. Für Personen, die zur Beaufsichtigung anderer bestellt wurden (z.B. Großeltern) wird eine widerlegbare Haftungsvermutung eingeführt.[17]

Um diese Haftungsverschärfungen auszugleichen, wurde eine obligatorische Haftpflichtversicherung in den Gesetzesentwurf mit aufgenommen.[18]

 

III. Neuerungen im Schadensrecht

Der Gesetzesentwurf zu Buch 6 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kodifiziert die verschiedenen Arten des Schadensersatzes und manifestiert zwei Grundprinzipien des belgischen Schadensrechts: Den Grundsatz des integralen (Schadens-)Ausgleichs („het beginsel van integrale (schade)vergoeding“), i.e. die Ersatzfähigkeit des gesamten erlittenen Schadens, sowie den Grundsatz der objektiven Wiedergutmachung („het beginsel van objectief herstel“), i.e. das Erfordernis einer konkreten Schätzung des Schadens. Beide Prinzipien unterstreichen die Ausgleichsfunktion des belgischen Haftungsrechts in Abgrenzung zum sog. Strafschadensersatz („punitive damages“) des anglo-amerikanischen Rechts.[19]

Darüber hinaus können Geschädigte, die bereits eine Schadensersatzzahlung erhalten haben, nun erneut Entschädigung verlangen, wenn sich der ursprüngliche Schaden seit dem ersten Prozess verschlimmert hat oder der Schaden im Erstprozess nicht berücksichtigt wurde.[20]

 

IV. Fazit

Es bleibt abzuwarten, wie sich die gesetzliche Neugestaltung des Buch 6 des Bürgerlichen Gesetzbuches – insbesondere im Hinblick auf die Abschaffung der Quasi-Immunität des Erfüllungsgehilfen – auf die Praxis auswirkt. Die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Erfüllungsgehilfen bietet dem Geschädigten zwar einen zusätzlichen Anspruchsgegner und damit erhöhte Chancen auf Entschädigung – relevant insbesondere im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers. In aller Regel sind Arbeitnehmer jedoch weniger zahlungsfähig und damit als Klagegegner deutlich unattraktiver als deren Arbeitgeber.[21]

In Bezug auf die Inanspruchnahme von Geschäftsführern ist ungewiss, ob und wie Buch 6 des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches mit dem bestehenden vorrangigen Gesetzbuch für Unternehmen und Vereinigungen kollidieren wird.[22]

Schwierigkeiten ergeben sich auch bei der Geltendmachung der Einreden des Erfüllungsgehilfen. Um sich auf Einreden aus dem Vertrag zwischen Auftraggeber und Geschädigten berufen zu können, muss der Erfüllungsgehilfe Kenntnis von den Vertragsbestimmungen sowie Einsicht in diese erlangen können. Dies wird in der Praxis nur selten der Fall sein. Insbesondere Verschwiegenheitsklauseln in ebendiesen Verträgen könnten Hindernisse für den Erfüllungsgehilfen darstellen.[23]

Um diese praktischen Hürden zu vermeiden, steht es den betroffenen Parteien frei, ergänzende bzw. von den unverbindlichen gesetzlichen Regelungen abweichende vertragliche Vereinbarungen zu treffen.[24]

 

[1] Reform des Zivilgesetzbuches | Justice (belgium.be) (Zugriff am 05.09.2024).

[2] Nieuwe wetgeving buitencontractuele aansprakelijkheid: Bestuurders en werknemers kunnen sneller door derden aangesproken worden voor hun persoonlijke fouten | Claeys & Engels (claeysengels.be) (Zugriff am 05.09.2024).

[3] Nieuw Boek 6 van het Burgerlijk Wetboek nadert inwerkingtreding - Lexology (Zugriff am 05.09.2024).

[4] Nieuw Boek 6 van het Burgerlijk Wetboek nadert inwerkingtreding - Lexology (Zugriff am 05.09.2024).

[5] Nieuw Boek 6 van het Burgerlijk Wetboek nadert inwerkingtreding - Lexology (Zugriff am 05.09.2024).

[6] Nieuw Boek 6 van het Burgerlijk Wetboek nadert inwerkingtreding - Lexology (Zugriff am 05.09.2024).

[7] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[8] https://www.claeysengels.be/nl-be/nieuws-events/nieuwe-wetgeving-buitencontractuele-aansprakelijkheid-bestuurders-en-werknemers (Zugriff am 05.09.2024).

[9] https://www.claeysengels.be/nl-be/nieuws-events/nieuwe-wetgeving-buitencontractuele-aansprakelijkheid-bestuurders-en-werknemers (Zugriff am 05.09.2024).

[10] https://www.claeysengels.be/nl-be/nieuws-events/nieuwe-wetgeving-buitencontractuele-aansprakelijkheid-bestuurders-en-werknemers (Zugriff am 05.09.2024).

[11] https://www.claeysengels.be/nl-be/nieuws-events/nieuwe-wetgeving-buitencontractuele-aansprakelijkheid-bestuurders-en-werknemers (Zugriff am 05.09.2024).

[12] https://www.claeysengels.be/nl-be/nieuws-events/nieuwe-wetgeving-buitencontractuele-aansprakelijkheid-bestuurders-en-werknemers (Zugriff am 05.09.2024).

[13] https://www.deloittelegal.be/lg/en/blog/Deloitte-Legal-Newsflashes/2024/2024-02-22-nieuwe-regelgeving-inzake-buitencontractuele-aansprakelijkheid-impact-bestuurders-werknemers.html (Zugriff am 17.09.2024).

[14] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[15] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[16] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[17] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[18] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[19] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[20] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[21] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[22] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[23] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

[24] https://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=701626f8-2e9a-4440-882a-965e138bb479 (Zugriff am 17.09.2024).

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